Orangerie
Die Orangerie von Kassel wurde unterhalb bzw. rund 400 m südlich des ehemaligen Stadtschlosses nahe dem westlichen Fuldaufer unter Landgraf Karl zwischen 1703 und 1711 erbaut. Seitdem bildet sie den nördlichen Anfang der Karlsaue.
Auf dem Gelände der heutigen Orangerie und der davor befindlichen Hessenkampfbahn wurde 1568 ein ummauerter Schlossgarten durch Wilhelm IV. angelegt. Sein Nachfolger Landgraf Moritz errichtete 1570 dort das kleine Schloss „Mauritianum“.
Einige Quellen vermuten Paul du Ry als Architekten des heutigen barocken Schlosses. Das Hauptgebäude ist 139,40 Meter lang und als niedriger Bau mit einem höheren, zweigeschossigen Mittelteil und zwei höheren, dreigeschossigen Eckpavillons ausgeführt worden. Die Architektur des Bauwerks wird in den Achsen des barocken Gartens fortgesetzt. Es wurde angeblich nach italienischen Reiseerinnerungen von Landgraf Karl erbaut, jedoch ist die spezielle Stilerscheinung des malerisch empfundenen, im einzelnen viel Reizendes enthaltenden Gebäudes französisch.
Die Orangerie wurde in der Karlsaue als Überwinterungshaus für die im Sommer innerhalb des so genannten Orangerie-Gartens aufgestellten Kübelpflanzen errichtet. Daraus entwickelte sich die als bedeutend eingestufte Kasseler Orangeriekultur. Einige Räumlichkeiten dienten der landgräflichen Familie auch als temporärer Aufenthaltsort, jedoch niemals als Residenz. Dafür war das Stadtschloß zu nah.
Im Obergeschoss des Mittelbaus befand sich der reich gestaltete Apollosaal. Bezeichnend ist, dass er nur über das offene Dach zu erreichen war – eine Treppe existierte nicht. Der darunter liegende, einst offene Tordurchgang der Orangerie verband die sogenannte Voraue (heute Hessenkampfbahn) und den übrigen Park miteinander. Die Hauptachse des großartigen barocken Parks strich damit durch das Gebäude hindurch.
Landgraf Karl plante, auf der Parkseite der Orangerie einen auf beiden Seiten von jeweils fünf Pavillions gesäumten Ehrenhof anzulegen. Zu seinen Lebzeiten wurde aber nur das Marmorbad am westlichen Ende der Orangerie ausgeführt (1722), ein Prunkgemach, das außer zur Präsentation zahlreicher Marmorbildwerke von Pierre Etienne Monnot wohl nie seinem eigentlichen Zweck als Bad diente und heute im Rahmen von Führungen besichtigt werden kann. Erst 1765 wurde durch den Bau des Küchenpavillons, der dem Marmorbad östlich gegenüber steht, durch Simon Louis du Ry die Symmetrie des Bauwerks wieder hergestellt.
Nach der Besetzung Kurhessens durch französische Truppen diente die Orangerie zuerst als Lazarett und Magazin. 1808 berief der westphälische König Jérôme Bonaparte hier die Landesstände ein, bevor das Fridericianum zum „Palast der Stände“ umgebaut wurde. Im Jahre 1813 wurde Kassel durch die russische Armee befreit. Das Portal des Marmorbades trägt noch heute die Narben des russischen Granatbeschusses.
Ab 1830 wurde das Innere durch missglückte Instandsetzungsarbeiten stark beeinträchtigt. Die meisten Stuckarbeiten sowie die Innenausmalung gingen verloren. 1872 wurden die Stuckaturen des Aussenbaus gravierend verändert. Unter anderem wurden die barocken Medaillons römischer Kaiser durch Portraits hessischer Regenten ersetzt. Oftmals wurde der Hauptteil der Orangerie und die Voraue, die 1926 zum Sportplatz Hessenkampfbahn umgebaut wurde, als Ausstellungsgebäude bzw. -gelände für Industrie-, Gewerbe- und Fachausstellungen verschiedenster Art genutzt.
Im 2. Weltkrieg wurde die Orangerie bei einem englischen Luftangriff im Oktober 1943 stark beschädigt. Danach wurde die Ruine provisorisch gesichert und diente 1955 in dieser Form als Ausstellungsort für die zweite Bundesgartenschau und die documenta. In den 1970ern wurde ihr äußeres Erscheinungsbild wieder hergestellt, wobei die historischen Reste durch Nachbildungen aus Beton ersetzt wurden. Die der vorderen Fassade ursprünglich entsprechende Rückseite, wurde in diesem Zug nur skizzenhaft nachgebaut. Die Rekonstruktion der Vorderfront entspricht lediglich dem Zustand von 1872, das Innere ist vollständig neu gestaltet.
1992 öffnete das Museum für Astronomie und Technikgeschichte mit neuer Inneneinrichtung seine Pforten. Der Ursprung des Museums liegt in der 1560 von Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel gegründeten Sternwarte, die im Astronomiesaal rekonstruiert wurde. Sie finden hier astronomische Instrumente von Eberhard Baldewein und Jost Bürgi, ein großes Plößl-Fernrohr, ein Lilienthal-Hängegleiter und einen „Fieseler Storch“ Fi 156. Der Dauerversuch eines ständig schwingenden Foucaultschen Pendels zum permanenten Nachweis der Erddrehung ist im Treppenhaus aufgebaut.
Beim Rundgang über die Geschosse kann man man folgende Themenbereiche kennen lernen: Astronomie, Meteorologie, Zeitmessung, Raummessung, Optik, Fotografie, Energietechnik und Informationstechnik. Das 1. Obergeschoss beherbergt den Astronomiesaal und die rekonstruierte Sternwarte. Im 3. OG des Mittelbaus findet man den zehn Meter-Kuppel-Saal mit dem Zeiss-Projektionsplanetarium.