Ein älterer Mann, er hat gerade die Rente erreicht, beschließt seinen Lebenstraum zu verwirklichen, einmal in seinem Leben zu studieren. Es ist die letzte Gelegenheit, denkt er sich wahrscheinlich. Er schreibt sich an der Universität ein und beginnt mit dem Studium der Bildenden Kunst. Sechs Jahre später, er ist gerade 70, gelingt ihm der erfolgreiche Abschluss. Alles Weitere ist Geschichte.

Es ist eine dieser Geschichten, die das Leben schreibt. Der Mann heißt Ki Yung Lee. Er wird 1932 in Südkorea geboren. 1969 immigriert er nach Deutschland, tritt im folgenden Jahr eine Stelle im Volkswagenwerk Baunatal an und gründet wenige Jahre später eine Taekwondo-Schule in Kassel, die er nebenbei betreibt. Später wird er Generalsekretär des Taekwondo-Verbandes. Nach einem arbeitsreichen Leben zieht es ihn zur Kunst, er beginnt sich damit auseinanderzusetzen, gestaltet Anfangswerke und präsentiert diese in ersten Ausstellungen. Er beginnt 1996 mit dem Studium an der Kunsthochschule Kassel, nachdem er sich einige Jahre als Gasthörer an der Universität eingeschrieben hat. Seitdem gilt er dort als der älteste Kunstpraxisstudent. 2002 erreicht er den Abschluss mit seiner künstlerischen Arbeit über das Thema „Ki – Darstellung und Deutung von Körper- und Geisteskraft“. Es folgen weitere Ausstellungen.

Durch Ki Yung Lees Arbeiten zieht sich das „Ki“ (Chi), der Lebensatem, die Lebensenergie, das tiefe Sicheinlassen und Erleben mit Ki sowie den ganz persönlichen Einfluss von Ki auf das auf das eigene Leben. Diesen Einfluss versucht er künstlerisch zu reflektieren. Dabei verbindet Ki Yung Lee fernöstliche und christliche Lehre. Seine zahlreichen Skulpturen aus Holz und Keramik tragen dabei so hoffnungsvolle Namen wie „Mut zur Wiedervereinigung“, „Studieren kennt kein Alter“ oder repräsentieren den tiefen Wunsch nach „Versöhnung“ und „Weltfrieden“. Unter seinen Werken findet man auch Kalligraphien, die durch Bedampfen von Reispapier (Chinapapier) entstanden sind, auf dem Ki Yung Lee mit Hilfe dieser Technik das Schriftzeichen KI ausdrucksstark dargestellt hat. Der Künstler möchte so verdeutlichen, dass etwas immateriell und gleichzeitig materiell sein kann, entsprechend dem Urprinzip Yin und Yang, dem Synonym des dynamischen Gleichgewichts. Aus dem strömenden Spannungsspiel zwischen den beiden gegensätzlichen und trotzdem aufeinander bezogenen dualen Kräften entsteht die Kraft Ki, nach alter chinesischer Vorstellung die Urquelle aller Lebensprozesse im Kosmos.

Lees Tochter Sesiria Lee, die die Werke des Künstlers im Rahmen von Ausstellungen der Kasselartists zeigt, gilt ihr Vater als großes Vorbild. Seinen Lebenstraum hat Ki Yung Lee verwirklicht, getreu seinem ganz persönlichen Motto und Leitsatz: „Ich mach‘ das. Ich kann das. Ich schaff‘ das!“ Studieren kennt nunmal kein Alter.

Ki Yung Lee hat in seiner künstlerischen Laufbahn zahlreiche Werke erschaffen. Heute lebt er in einem Seniorenheim in Frankfurt.

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